Ein
Interview mit Stephanie Heinrich, Ausschuss Gleichstellung und Prävention
geführt von Ines Bartnick, Ausschuss Öffentlichkeitsarbeit
geführt von Ines Bartnick, Ausschuss Öffentlichkeitsarbeit
Hallo Stephi, schön, dass du dir für dieses Interview Zeit nimmst. Kannst du dich kurz vorstellen?
Ja gerne. Ich heiße Stephanie Heinrich (2. Dan Jiu Jitsu), bin 37 Jahre alt und lebe im Kreis Düren. Seit meinem 16. Lebensjahr trainiere ich im Zanshin Dojo des Vfb Erftstadt. 2020 wurde ich zur ersten Frauenwartin in der Geschichte der KID gewählt. Zwischenzeitliche haben wir das Amt in Referentin für Gleichstellung und Prävention umbenannt und ich habe einen entsprechenden Ausschuss gegründet, der mich in meiner Tätigkeit unterstützt. Sehr gerne können sich jederzeit interessierte Sportlerinnen und Sportler aller DJJB-Vereine melden, um uns tatkräftig zu unterstützen.
Was sind die Aufgaben des Ausschusses?
Die Aufgaben des Ausschusses für Prävention und Gleichstellung sind recht breit gefächert. Im Prinzip arbeiten wir an zwei thematischen Säulen:
Zum einen der Bereich Prävention: Hier geht es uns zu Beginn unserer Arbeit vor allem um die Sensibilisierung für Themen wie Grenzüberschreitung, Diskriminierung und Gewalt im sozialen Umfeld. Es ist wichtig, ein Bewusstsein für das gesamtgesellschaftliche Problem zu schaffen. Hierauf aufbauend geht es um Maßnahmen zur generellen Gewaltprävention.
Wir betrachten dabei die Formen der Gewalt, ebenso wie den betreffenden Personenkreis, sehr vielschichtig. Gewalt kann psychisch wie physisch erfolgen, in Form von Mobbing, Belästigung oder gar sexualisierte Gewalt. Es steht für uns das Recht auf Selbstbestimmung und körperliche sowie seelische Unversehrtheit für alle Sportlerinnen und Sportler des DJJB im Fokus – ganz gleich welchen Geschlechts und welchen Alters. Besondere Aufmerksamkeit erhält dabei der Schutz von Kindern und Jugendlichen. Die Präventionsarbeit steht unter dem Slogan „Unsere Dojos sind keine Tatorte, sondern Schutzorte“.
Der zweite Teilbereich beschäftigt sich mit dem Thematik Gleichstellung. Wie man sich schon denken kann, geht es hier im Schwerpunkt um eine gesunde Balance in der Zusammenarbeit und die Chancengleichstellung unabhängig vom Geschlecht. Besonders die traditionellen Kampfsportarten haben hinsichtlich der Chancengerechtigkeit noch Entwicklungspotential.
Das gilt sicherlich auch für uns im DJJB. In Bezug auf Frauen ist uns besonders wichtig, unseren Sport noch bekannter und attraktiver zu machen. Wir stellen fest, dass der Anteil der weiblichen Vereinsangehörigen im Vergleich zu den männlichen noch ausbaubar ist. Durch den insgesamt geringeren Frauenanteil ergibt sich dann auch eine geringere Repräsentanz in den Vereins- und Verbandsführungen. Wir sind hier zwar auf einem guten Weg, sind da aber keineswegs am Ende der Möglichkeiten.
Was ist das Schöne an Eurer Arbeit?
Besonders spannend ist, dass wir auf Verbandsebene quasi bei Null gestartet sind und wir echte Pionierarbeit leisten können. Es gibt bei uns keine bereits festgefahrenen Themen und Arbeitsweisen – wir können da quasi wie ein Start-Up agieren. Die dafür benötigten Freiräume haben wir.
Außerdem hat unser Thema Berührungspunkte mit fast allen anderen Ausschüssen (siehe z.B. dieses Interview mit Euch von der Öffentlichkeitsarbeit). In heterogenen Teams zu arbeiten ist immer eine spannende Herausforderung.
Mal ein bisschen provokant gefragt: Gewaltprävention und Kampfsport, ist das nicht ein Widerspruch?
Da halte ich es mit einem Sprichwort, dass wir alle auch aus unserem regulären Jiu Jitsu – Leben kennen: Lerne zu kämpfen, um nicht kämpfen zu müssen. Am Anfang steht immer die Prävention, also die Vermeidung einer körperlichen Auseinandersetzung. Damit einhergeht auch das Thema Selbstbehauptung. Erst im letzten Schritt kommt die Selbstverteidigung. Für die Zukunft wünschen wir uns, dass dies auch im regulären Training bei allen Vereinen noch mehr Berücksichtigung findet.
Was habt Ihr für Ideen und Pläne, um die Vereine für das Thema Prävention zu sensibilisieren?
Danke für diese Frage, denn sie trifft ja den Kern unserer Ausschussarbeit. Um auf die Vereinsebene zu gelangen, war es uns erstmal wichtig, ein breites Verständnis für die Themen Gleichstellung und Prävention auf Ebene des Verbandes zu erzeugen. Wir folgen dabei einem top-down Ansatz. Zunächst tragen wir die Thematik in die Korporation Internationaler Danträger (KID) von dort auf die DJJB Ebene. Sind die KID-Mitglieder überzeugt, dann können auch die übrigen Vereinstrainerinnern und Vereinstrainer motiviert werden.
Transparenz und Akzeptanz bei Verbandsführung sowie Vereinsleitungen gibt uns die Möglichkeit, unsere Themen in die Fläche zu bringen. Vorstände, Trainerinnen und Trainer sollen unser Mindset verstehen und mit uns gemeinsam als Multiplikatoren fungieren. Das dauert sicherlich eine Weile, aber auch hier konnten wir schon erste Erfolge verbuchen. So haben wir unter anderem erreicht, dass alle Angehörigen der KID, welche ja das Steuerungsgremium des DJJB ist, nunmehr über das erweiterte Führungszeugnis verfügen.
Da die Angehörigen der KID auch nahezu allesamt die Leitung eines Vereines verantworten, haben wir also hier schon einen Fuß in der Tür. Darüber hinaus sind wir gerade in der finalen Abstimmung eines Verhaltenskodex für ein gemeinsame Werte zu diesem Thema. Die Vorstellung erfolgte bereits auf dem KID-Seminar 2022 und die finale Umsetzung ist für 2023 vorgesehen.
Darüber hinaus arbeiten wir an der Etablierung auf DJJB-Ebene z.B. als Bestandteil zukünftiger Dan-Prüfungen, damit sich jeder Dan-Träger mit der Thematik auseinandersetzt.
Perspektivisch stelle ich mir auch vor, dass wir auf Ebene der Vereine Ansprechstellen / Präventionsbeauftragte etablieren, sofern diese nicht schon vorhanden sind. Die Zusammenarbeit mit den einzelnen Vereinen wird uns in Zukunft noch mehr beschäftigen. Wir freuen uns auch immer, wenn Vereine sich schon eigeninitiativ mit Ideen an uns wenden!
Sollen Schulungen oder Lehrgänge zum Thema Prävention stattfinden?
Im vergangenen Oktober habe ich gemeinsam mit Sabine Kloß einen Lehrgang zum Thema „Frauenspezifische Selbstverteidigung“ durchgeführt. Erfreulicherweise wurde dieser sowohl von Frauen und Männern besucht – und dies sogar im ausgeglichenen Verhältnis. Auch die Graduierungen waren von gelb bis zum 3. Dan wirklich breit verteilt. Neben dem technischen Part, der sich vor allem auf Angriffe an Alltags-Szenarien konzentriert, stand der erste Teil des Lehrgangs im Zeichen von Körpersprache und Selbstbehauptung. Wie vorhin erwähnt, ein wichtiger Part bei der Prävention.
Bereits 2021 hat Silke Gorges-Westrich einen Online-Workshop mit dem Thema "Erkenne die Grenzen" für die KID-Mitglieder durchgeführt.
Man darf aber nicht unerwähnt lassen, dass auch die Lehrgänge des Kinder- und Jugendausschusses mit David Djakovic an diesem Thema dran sind. Die gute Resonanz der bereits erfolgten Seminare und Lehrgänge macht uns also wirklich Mut für weitere Angebote! Zukünftig sind auch Lehrgängig ausschließlich für Mädchen und Frauen geplant sowie eine engere Zusammenarbeit mit dem Jugendwart.
Hast Du Ideen, wie Jiu Jitsu für Frauen attraktiver, und der Anteil der Danträgerinnen erhöht werden kann?
Eines der Grundprobleme ist es, dass wir bei den Kindergruppen im DJJB zwar einen relativ hohen Anteil an Mädchen haben, sich diese aber oft im Jugendalter oder als junge Erwachsene vom Jiu Jitsu trennen. Dadurch ergibt sich eine deutliche Mehrheit an männlichen Jiuka. Wir können das sicherlich nicht in Gänze beeinflussen – Interessen und Hobbies verändern sich im Laufe des Lebens. Für einige passt dann unser Kampfsport nicht mehr ins Lebenskonzept.
Aber Du hast mich ja gefragt, was wir aktiv tun können. Nun, ich glaube, um Jugendliche an sich interessiert zu halten, muss unser Jiu Jitsu auch an manchen Stellen "jugendlicher" werden. Wir brauchen sicher noch mehr junge und ambitionierte Trainerinnen und Trainer, die das Feuer an die Jüngeren weitergeben. Unser Jugendwart macht da mit seinen Lehrgangsangeboten schon einen sehr guten Job.
Ich glaube die Vorbildfunktion spielt auch eine wichtige Rolle, gerade wenn der Anteil weiblicher Mitglieder im eigenen Verein gering ist. Beispielsweise war ich mit 18 einige Jahre die einzige Frau im Erwachsenentraining. Das ist manchmal nicht leicht, weil man sich natürlich ein Vorbild sucht, nachdem man sich orientieren kann. Daher habe ich bereits 2020 eine "Sportlerinnen im DJJB" Seite auf unsere Verbands-Homepage etabliert.
Hier stellen sich einige Dan-Trägerinnen der KID vor und erzählen etwas über sich. Zukünftig möchte die Seite gerne auch um Trainerinnen im DJJB erweitern und auch erfolgreiche Wettkämpferinnen kann ich mir hier sehr gut vorstellen. Wer also interessiert ist, sich ebenfalls mit einem kurzen Steckbrief vorzustellen, kann sich gerne an mich wenden ( stephanie.heinrich(at)djjb.de ).
Zwei konkrete Vorschläge habe ich aber doch noch:
1. Ich würde mir insgesamt noch mehr Kindergruppen im DJJB wünschen. Wir machen die Erfahrung, dass sich das positiv auf die Mitgliederverteilung auswirkt.
2. Spezielle Angebote für Frauen, wie z.B. Frauen SV Kurse sollten noch intensiver in unseren Vereinen stattfinden. So gewinnt man sicherlich weitere Interessenten von außen. Da bringt mich unser Interview spontan auf die Idee, vielleicht im DJJB zentral so etwas wie eine Fortbildung für Frauen-SV-KursleiterInnen anzubieten. Das könnte ein zusätzliches Qualitätssiegel sein.
3. Auch würde ich gerne ein Kontaktportal auf der Homepage etablieren. Ich stelle mir das wie eine Landkarte vor, auf der man sehen kann, wo es weitere Vereine mit Sportlerinnen gibt, die ich evtl. kontaktieren kann, z.B. zum Austausch oder auch zur Verabredung zum Training außerhalb des eigenen Dojos.
Gleichstellung bedeutet ja nicht nur Gleichberechtigung für Frauen. Welche Aspekte sind noch für den DJJB wichtig? Gibt es z.B. schon Erfahrungen mit Inklusion?
Du hast recht, wie ich auch schon eingangs erwähnte, geht es bei unserer Arbeit nicht nur um die Geschlechterrollen. Vielmehr ist Chancengerechtigkeit das Stichwort. Aus meiner DJJB-Erfahrung der letzten Jahrzehnte muss ich sagen, ist Inklusion in unserem Verband eigentlich ein gelebtes Thema. Das sagt schon unsere Satzung.
Aber viel wichtiger ist selbstverständlich die gelebte Gerechtigkeit auf der Matte. Ich habe schon einige Sportlerinnen und Sportler mit Handicaps gesehen, die sich hervorragend auf Prüfungen gezeigt haben. Dies gilt bspw. auch für Personen im fortgeschrittenen Alter. Es gab und gibt z.B. auch schon Lehrgänge für die Zielgruppe 50+.
Die Frage wäre allerdings, ob sich in Zukunft Gelegenheiten bieten, das Thema Inklusion zu institutionalisieren – auch außerhalb der Satzung. Sicher ein spannendes Zukunftsprojekt für den Verband.
Wenn ich in meinem Verein ein Problem habe, wie bekomme ich Unterstützung von Dir?
Du meinst sicherlich: Wie bekomme ich Unterstützung von euch? Wir sind schließlich ein Team im Ausschuss.
Nun, erst einmal ist es gut, dass die Angehörigen meines Ausschusses in verschiedenen Vereinen ansässig sind. So haben wir quasi schon eine Vorortpräsenz. Wir wissen alle, dass es durchaus schwierig ist, sich bei Problemen an eine möglicherweise fremde Person, "da oben im Verband" zu wenden.
Das Ganze hat halt viel mit Vertrauen zu tun. Gerade bei Problemen mit grenzüberschreitendem Verhalten. Das geht hin bis zu Traumata. Nichtsdestotrotz sind wir als zentrale Ansprechstelle für alle Angehörigen des DJJB da. Je nach situativem Bedarf führen wir Gespräche (auch anonym, falls gewünscht), können eine Mediation anbieten oder vermitteln zu professionellen Stellen.
Zukünftig sind neben Ansprechpartnern auf Vereinsebene auch die Etablierung von Handlungsempfehlungen für die Vereinsleiter geplant. Auch ein "Kummerkasten" auf der DJJB-Homepage soll entwickelt und natürlich gepflegt werden.
Wichtig zu wissen ist auf jeden Fall: Es wird nichts unter den Teppich gekehrt. Wer Probleme hat, wird ernst genommen!
Danke für das Interview und viel Erfolg bei deiner Arbeit!
Stand: 4/2023