Deutscher Jiu Jitsu Bund

"Der Reisende ins Innere findet alles, was er sucht, in sich selbst. Das ist die höchste Form des Reisens."
Betrachtet man diesen Aphorismus des Laotse – und überträgt ihn auf das Jiu Jitsu –, so kommt man nicht umhin, die Beschäftigung mit dem Jiu Jitsu als eine Reise zu sehen. Es gibt hierbei einen Zyklus von Lernen und Üben, Variieren und Verändern und Verlernen und Vergessen. Weil unser Gehirn auf Wiederholung und Vertiefung angewiesen ist, sind immer wieder Anlässe zu schaffen, um dies zu ermöglichen. – Kata lehrt uns, wie wir Bewegungen und Techniken zyklisch anordnen.
Es beginnt mit dem Auflaufen auf die Matte, dann folgen die Verbeugung und das Abknien – alles möglichst spiegelbildlich! Sodann beginnt das Zusammenspiel von Tori und Uke im Kontext der Bewegungsfolgen. Schließlich wieder das Abknien und die Verbeugung mit dem gemeinsamen Verlassen der Matte. Kata ist darüber hinaus aber auch die höchste Form des Übens. Es ist tatsächlich, wie Laotse es am Beispiel der Reise ins Innere ausdrückt, ein Weg ins Innere des Jiu Jitsu. Getreu diesem Motto fanden am 21. und 22. Januar 2023 die Lehrgänge zur 1. und 2. Kata nach der Prüfungsordnung des DJJB im Dojo des Bujindo Mülheim e.V. statt.
Durch die Lehrgänge führte Frank Reichelt (5. Dan Jiu Jitsu), der von Stefan Brandt (3. Dan Jiu Jitsu) und Alexander Galk (3. Dan Jiu Jitsu) als Uke unterstützt wurde. Kata bedeutet aus dem Japanischen ins Deutsche übersetzt so viel wie Form, Stil, Haltung, aber auch Vorschrift, Muster, Abdruck oder Schablone. Kata im Rahmen der Prüfungsordnung des DJJB bezeichnet die stilisierte Form eines Kampfes gegen einen einzelnen realen Gegner, bei dem Verteidigung, Angriff und Gegenangriff in festgelegter Abfolge und Ausführungsart geübt werden. Das Üben der Kata zwingt Tori und Uke, die immer gleiche Situation ohne Abweichung zu wiederholen. So werden bestimmte Grundprinzipien des Jiu Jitsu über einen langfristigen Prozess verinnerlicht. Wer Kata übt, trainiert zunächst die Einzeltechniken, verbindet diese zur vorgeschriebenen Form und schließlich, wenn der Ablauf der Form erlernt ist, beginnt der Feinschliff, das eigentlich Wichtige an der Kata: die Loslösung vom rein technischen Aspekt des Übens mit dem Wechsel von Anspannung und Entspannung hin zu einer Verinnerlichung der Harmonie.
 

Die Lehrgänge am Samstag und Sonntag waren überaus gut besucht und so wurde es richtig eng auf der Matte. Aber das Üben der Kata in den Einzeltechniken unter engen räumlichen Bedingungen birgt auch Vorteile in sich: Man muss ein umso besseres Gefühl für den Raum und die Orientierung auf der Matte entwickeln, da die Kata einen festen Anfangs- und Endpunkt auf der Matte vorschreibt, den Tori und Uke am Ende der Kata wieder einnehmen müssen. Die Kata-Techniken umfassen für die 1. Kata (Abwehren gegen Hand- und Handgelenkfassen) folgende Angriffe: Abwehr gegen Handfassen, doppeltes Handgelenkfassen von vorne (2x) und doppeltes Handgelenkfassen von hinten (2x). Die 2. Kata (Abwehren gegen Distanzangriffe) beinhaltet Abwehren gegen Oi-tsuki, Revers fassen/Schwinger, Schulterstoß, doppelten Schwinger und Mae-geri.
Insbesondere beim Üben der 1. und 2. Kata ergeben sich aus den speziellen Techniken für Tori und Uke sehr lange Bewegungen, die beide zum Teil um zwei Meter vom ursprünglichen Ausgangspunkt wegführen. Dort müssen Tori und Uke aber wieder hinfinden. Dies gelingt durch das Timing über Ausgleichsschritte. Wenn alle Techniken "sitzen", dann geht es darum, die einzelnen Techniken kunstvoll miteinander zu verbinden. Das schafft die Laufschule, die sich wie ein roter Faden durch die Kata zieht, sodass Tori und Uke nicht eine beliebige, individuelle Demonstration "ihrer" Techniken zeigen, sondern hier geht es um die im Idealfall unendlich oft wiederholbare und wiederabrufbare Kata: in der Form für alle gleich, im Ausdruck von Paar zu Paar verschieden. Kurz vor dem Schluss des Lehrgangs, also immer als Höhepunkt, zeigen Tori und Uke gemeinsam mit allen Paaren die Kata. Kata ist eine lebendige Angelegenheit. Die Techniken werden rechts und links ausgeführt, dies ist nicht nur ein Anspruch von Kata, sondern auch eine gute Voraussetzung für die Selbstverteidigung.
 

Nach den Lehrgängen zur 1. und 2. Kata fanden am 4./5. Februar 2023 ebenfalls beim Bujindo Mülheim die Lehrgänge zur 3. und 4. Kata nach der Prüfungsordnung des Deutschen Jiu Jitsu Bundes statt. Die Leitung lag erneut bei Frank Reichelt (5. Dan Jiu Jitsu), der an diesen beiden Lehrgangstagen von David Djakovic (2. Dan Jiu Jitsu) als Uke unterstützt wurde.
Ab der 4. Kata aufwärts beginnen die Waffen-Katas des DJJB, d.h. Tori wird von Uke mit einer Waffe angegriffen. Der Schwierigkeitsgrad der Kata entspricht den Erwartungen, die an die Entwicklung der Dan-Grade gestellt werden. Die 4. Kata ist eine Kata gegen Angriffe mit einem Kurzstock, wobei hier typische Stockangriffe von oben, außen, innen und doppelt gefasst erfolgen. Der 4. Kata am Samstag folgte die 3. Kata am Sonntag. Die Einzeltechniken der 3. Kata bestehen aus Körperabwehren (z. B. Würgen, Umklammern oder Schwitzkasten von vorne) und sind ein Querschnitt durch das Technikrepertoire des Jiu Jitsuka. Der Erfolg blieb auch an diesem Wochenende nach intensivem Üben nicht aus. Dieser Erfolg darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Erlernen einer Kata nicht eine einmalige Angelegenheit ist, sondern in einem permanent wirkenden Prozess von Üben, Korrigieren (Korrigiert-Werden), Verbessern und Praktizieren eingebettet sein muss. Folglich sind Lehrgangsbesuche allein noch kein Garant für das Erlernen der Form und der Formen.
Wer Kata zum ersten Mal übt, für den ist es ein Einstieg – der Lernzuwachs ist groß. Wer Kata schon kennt, für den sind die Lehrgänge die "Eintrittskarte" auf dem Weg zur Perfektion. – Mit dem Lernzuwachs verhält es sich wie mit Mosaiksteinchen: Man muss viele sammeln, sie richtig ordnen und darauf achten, dass alle beisammenbleiben, bis das Große und Ganze sichtbar wird.
 

Die eingangs erwähnte und auf Laotse zurückgehende … höchste Form des Reisens hatte nebenbei auch wie immer den Effekt, dass Tori und Uke am Ende aller Kata-Lehrgänge sowohl körperlich als auch geistig an ihre Grenzen geführt wurden, weil Kata wegen der ganzheitlichen Ausrichtung – wenn man sich auf sie einlässt – sehr fordernd und bildend zugleich ist.
Zu guter Letzt sei an dieser Stelle noch ein Dank an Frank Reichelt und seinen jeweiligen Uke ausgesprochen. Wie immer führte Frank Reichelt mit klarem Ziel und geeichtem Kompass die "Reise" durch die Lehrgänge.

Text: Andreas Dolny & Volker Schwarz
Bilder: David Djakovic, Andreas Dolny, Volker Schwarz