Deutscher Jiu Jitsu Bund

Schon Heinrich Heine äußerte sich vor langer Zeit über das Phänomen Schusswaffe: Es gibt nichts Stilleres als eine geladene Kanone. Während Heine vermutlich die Artilleriewaffe meint, versteht man heutzutage dank zahlreicher Gangsterfilme umgangssprachlich "Kanone" als Faustfeuerwaffe.
Und die Präsenz einer geladenen Schusswaffe und der Blick in ihren Lauf ist etwas, das uns den Atem stocken und das Blut gefrieren lässt, weil der Mensch hinter der Waffe im Falle einer illegalen Verwendung zwar die Technik derselben über den Abzug beherrscht, aber offensichtlich mit den Folgen des Abdrückens (Schießens auf einen Menschen) in der Regel überfordert ist. Denn hier folgt das Denken oft der Geschwindigkeit des Projektils. Schusswaffen schaffen somit eine Welt "hinter" und "vor" der Waffe.
Somit hatten sich am 29. März 2015 zahlreiche Jiu-Jitsuka auf dem Schießstand "Magnum" in Düsseldorf zu einem Kyu- und Dan-Lehrgang des Deutschen Jiu Jitsu Bundes eingefunden, um auf zivile Art und Weise im Rahmen des Lehrgangs zum Thema Waffenabwehren, Handhabung Pistole/ Revolver, Schießübungen für Anfänger die Sichtweisen "vor" und "hinter" der Waffe zu erkunden.
Durchgeführt wurde der Lehrgang von Dieter Lösgen (10. Dan Jiu Jitsu, Bundestrainer) und Jürgen Rautert (3. Dan Jiu Jitsu). Die Zeiten, als noch ein Großteil der jungen Männer nach der Schule bzw. nach der Ausbildung im Alter von um die 20 Jahre als Wehrpflichtige zum "Bund" gingen, sind seit geraumer Zeit vorbei. Damit verbunden ist auch, dass somit die Erfahrungen im Umgang mit Schusswaffen, wie zum Beispiel Pistole und Gewehr – wie man sie während der Grundausbildung bei der Bundeswehr automatisch machte – nicht mehr in dem Maße vorherrschen, wie dies etwa noch vor 30 Jahren der Fall war.

Nicht jeder ist Sportschütze, somit muss dieses für den Jiu-Jitsuka dringend notwendige Wissen über Faustfeuerwaffen erworben werden. Wer also als Jiu-Jitsuka Abwehren gegen Schusswaffen üben will, sollte sich über die Gefährlichkeit und die Wirkungsweise von Schusswaffen im Klaren sein. Selbst der beste Kämpfer kann sich nicht gegen eine aus der Distanz abgefeuerte Schusswaffe wehren. Das grenzt den Bereich der möglichen (und auch vertretbaren!) Abwehren gegen Schusswaffen wie Pistole und Revolver schon einmal deutlich ein. Das Kraft- und Gefahrenpotential, welches von einer geladenen und entsicherten Schusswaffe ausgeht, ist enorm hoch. Schnell hat man durch eine unbedachte Bewegung sich oder andere schwer verletzt – das ist dabei niemals zu unterschätzen und erfordert größte Konzentration.
Dabei ist es einerseits sehr wichtig, selbst möglichst wenig Furcht vor der Schusswaffe zu fühlen, sich zu kontrollieren, andererseits sollte man großen Respekt vor der geladenen Schusswaffe als "Gegenüber" haben. Das gilt sowohl für die Situation hinter der Waffe als auch vor der Waffe und ihrem Lauf, denn man weiß nicht, wann sich der Schuss löst und wie die Flugbahn aussieht. Daher ist die Kontrolle der Waffe und die mögliche Flugbahn des Projektils von allergrößter Bedeutung.

          

Zu Beginn des Lehrgangs trafen sich alle Teilnehmer in einem Schulungsraum, welcher sich über dem Schießstand befand. Hier wurde zunächst die grundlegende Theorie der Schusswaffe thematisiert, und zwar anhand von mitgebrachten Pistolen und Revolvern. Durch die Waffenkunde führte Jürgen Rautert als erfahrender Sportschütze. Im Vordergrund standen Fragen wie die Sicherheit der eigenen Person und anderer Personen, Theorie der Schusswaffe (Flugbahnen, Munition, Funktionsweise der Faustfeuerwaffe, Unterschiede Pistole/Revolver etc.), das Waffenrecht (wie Notwehrparagraph) und die Waffenkontrolle – ein Bereich, den Dieter Lösgen in dem von ihm geleiteten Teil des Lehrgangs ausgiebig behandeln sollte.
Was alle Lehrgangsteilnehmer als Vorwissen nennen konnten, war das Zielen über "Kimme und Korn" – das kennt doch jeder, denkt man... Dass sich hinter dieser Art und Weise des Zielens bzw. Anvisierens viel mehr als das einfache Anlegen auf ein Ziel verbirgt, das zeigte Jürgen Rautert zunächst in seinem Theorieteil und später mit den Übenden auf der Schießbahn, denn Zielen ist nicht gleich Treffen!
Die Anwesenden hatten aber auch noch zahlreiche Fragen, die ausgiebig erörtert wurden. Nach der Theorie wurden die angereisten Teilnehmer in zwei Gruppen aufgeteilt. Diese sollten danach mehrfach wechseln, um im Rahmen des Wechsels von Schießbahn zur Waffenabwehr möglichst vertiefte Einblicke gewinnen zu können, damit sich das Wissen setzen konnte. – Man kann also schon einmal festhalten, dass es bei den geleiteten Ziel- und Schießübungen mit Jürgen Rautert darum ging, möglichst genau mit der Pistole und dem Revolver unter dem Aspekt des Sportschießens ins "Schwarze" zu treffen, während es Dieter Lösgen im Rahmen seiner Auswahl an Abwehren gegen Schusswaffen im Bereich von Techniken des Jiu Jitsu wichtig war, dass keiner von der Schusswaffe getroffen bzw. verletzt wurde. Und während bei Jürgen Rautert mit scharfen Waffen geschossen wurde, übten die Teilnehmer oben mit Dieter Lösgen Waffenabwehren mit Nachbildungen, die allerdings in Bezug auf Gewicht und Funktionsweise echten Waffen sehr nahe kamen.
Dieter Lösgen ging vor allem auf die Feinheiten der einzelnen Bewegung ein. Jede Bewegung zählt. Waffenabwehren verlangen ein Höchstmaß an Präzision! Beim Stock ist die Unachtsamkeit womöglich ein blauer Fleck, beim Messer schon ein tiefer Schnitt und bei der Pistole... möglicherweise ein Einschussloch mit tödlichen Folgen. Das muss auf jeden Fall vermieden werden, daher kommt den Waffenabwehren beim Jiu Jitsu auch besondere Bedeutung zu, was sich auch in der Prüfungsordnung des DJJB widerspiegelt.

Jürgen Rautert hatte inzwischen die Schießbahn für das Schießen mit der Pistole vorbereitet. Er ging dabei auf mögliche Fehler und Unfallursachen ein. Nun sollten alle der Reihe nach schießen und ein Gefühl für eine scharfe Schusswaffe bekommen. Durch Film und Fernsehen ist man heutzutage an den Anblick von Feuerwaffen gewöhnt, oder man übt während des Trainings mit einer echt aussehenden Nachbildung aus Holz oder Gummi, doch allein der Gedanke, mal eine scharfe, geladene Waffe in eigenen Händen zu halten, lässt einen als Neuling schon sehr nervös aussehen, und zwar mit allem Grund! Wer sich im Umgang mit Waffen als nervös oder unsicher zeigt, macht unter Umständen Fehler, die wir uns nicht "leisten" können.
Eine scharfe Schusswaffe – ob Pistole, Revolver oder Flinte – verzeiht keine Fehler. Doch dank der sorgfältigen und umfassenden Einweisung und Leitung durch den Lehrgang von Dieter Lösgen und Jürgen Rautert konnten diese vermieden werden. Geschossen wurde übrigens auf eine Leinwand, auf der verschiedene geometrische Formen eingeblendet werden konnten. Nach ein paar Schüssen konnten die ersten Erfolge verbucht werden. Doch man musste sich auch an den Knall und den Rückschlag der Waffe gewöhnen. Eine korrekte Haltung ist auch hier extrem wichtig, um sowohl den Körper zu schonen als auch das Ziel zu treffen. Ohren und Augen wurden übrigens von allen mit Kopfhörern und Schutzbrillen gesichert – denn auch der buchstäblich ohrenbetäubende Knall jedes Schusses und heiße Patronenhülsen gehören zu den Begleiterscheinungen des realen Schießens!
Nachdem die "Standardsituationen" von vorne abgehandelt waren, wechselte Gruppe nach unten zum Schießstand und die zweite Gruppe sollte bei Dieter Lösgen weitere Pistolenabwehren zum Kopf üben. Jürgen Rautert demonstrierte indes im zweiten Durchgang die Funktionsweise des Revolvers. Danach hatten alle Gelegenheit auf eine Distanz von zehn Metern ihr Bestes zu geben. Aber auch dieser Lehrgang hatte einmal ein Ende.
Zu guter Letzt bleibt festzuhalten, dass eine Begegnung mit einem mit einer Faustfeuerwaffe agierender Angreifer ein sehr gefährliche – wenn auch sehr seltene – Gefahrensituation darstellt. Wir können uns daher auch glücklich schätzen, dass es in Deutschland ein strenges Waffenrecht gibt, welches nur einer sehr begrenzten Personengruppe das Tragen und Führen von Schusswaffen erlaubt.
Schusswaffen sind kein "Spielzeug". Das Leben und die Unversehrtheit von Leib und Seele sind unersetzliche Werte, die es an erster Stelle zu schützen gilt. Die Teilnehmer des Lehrgangs gingen reich an Erfahrung – auch mit dem Gedanken der Prävention – und mit neuen Techniken nach Hause, um das Erlernte in den Heimat-Dojos noch einmal zu vertiefen und zwar auch mit dem "vertieften" Bewusstsein, dass echte Pistolen und Revolver Kräfte entfalten, die meist erst im Nachhinein verstanden werden... Wer dem Lehrgang beiwohnen konnte, hatte an diesem Tag Gelegenheit, ein von den beiden Lehrgangsleitern getragenes Höchstmaß an Verschränkung von Theorie und Praxis in Bezug auf Faustfeuerwaffen zu erleben.
Vielen Dank für diesen interessanten und spannenden Lehrgang an Dieter Lösgen und Jürgen Rautert.

Volker Schwarz & Andreas Dolny