Deutscher Jiu Jitsu Bund

Die Wurzeln erzählen den Zweigen nicht, was sie denken, sagt ein Sprichwort aus dem Kongo. Die Deutungsmöglichkeiten sind bei diesem zum Nachdenken anregenden Spruch sehr vielfältig und passen sehr gut auf den Bereich Budo und Jiu Jitsu.
Es kommt nicht von ungefähr, dass dieser aus einem regenarmen Land stammende Spruch über Wurzeln widerspiegelt, in welcher verantwortungsvollen Position sich Wurzeln befinden, wenn sie das Leben spendende Wasser an die nachgeordneten Zweige des großen Ganzen – Pflanze genannt – leiten. Angesichts bedeutender persönlicher Ereignisse ist es immer wieder wichtig, sich einmal in Ruhe Gedanken über sich selbst und das eigene Tun zu machen.
"Wo komme ich her, wo gehe ich hin? Warum bin ich hier und wer hat mich auf meinem Weg unterstützt? Wer hat mir meinen Weg bereitet und wie bin ich mit Hindernissen und Rückschritten umgegangen?" An den geschmeidigen "Wurzeln" des eigenen Weges steht immer jemand, der uns den Weg weist; Orientierung gibt. Geduld hat. Warten kann. Immer wieder aufzeigt, wo es hingeht und uns wieder "einsammelt", wenn man mal für eine Zeit den Weg verlassen hat. Verständnis für Umwege hat. Wachstum ermöglicht. Wurzeln schlagen lässt. Wildwuchs von gutem Wuchs unterscheidet und Fehlentwicklungen frühzeitig erkennen muss und diese – da er zur Handlung und zum Einschreiten verpflichtet, sogar "verdammt" ist – beseitigt, damit jetzt und in Zukunft ein Jiu-Jitsuka von Format und mit einem entwickeltem Bewusstsein für die Wurzeln des eigenen Tuns und Könnens auf der Matte stehen kann, der letztendlich mehr ist als seine Technik.
Der Haltung auf der Matte und im Leben zeigt. Im Jiu Jitsu stehen innere und äußere Haltung nicht nur für formale Etikette, sie sind ein auf Harmonie fußender Grundbaustein des Tuns. Echte Haltung ist ein ewiger Wert. Demzufolge fängt jede Prüfung mit Haltung an und hört mit dieser auf, und zwar ohne auf das Ergebnis des Tages zu schauen. Das Jetzt zählt.

Es sollte auch an diesem Sonntag im Dezember nicht anders sein: Die neun Prüflinge – unmittelbar an und hinter der Schwelle zum Schwarzgurt vorzufinden – zeigten überzeugende Ausschnitte aus ihrem Repertoire. Die unzähligen Techniken, Körperbewegungen, denen geistig-seelische bzw. neuronale Prozesse vorgeschaltet sind, und die ergreifenden Momente des Tages allein in Worten einzufangen, wäre weder vor Ort noch an dieser Stelle möglich. Den geduldigen und geschulten Augenpaaren an den drei Prüfertischen entging nichts, hier zeigte sich die Wichtigkeit von Trennschärfe, Erfahrung und Genauigkeit:
An Prüfertisch 1 saßen Dieter Lösgen (10. Dan Jiu Jitsu, Bundestrainer), Josef Djakovic (8. Dan Jiu Jitsu, Erster Vorsitzender DJJB/KID) und Dieter Mäß (8. Dan Jiu Jitsu); an Tisch 2 hatten Bernd Kampmann (7. Dan Jiu Jitsu), Gerhard Dressler (6. Dan Jiu Jitsu) und Frank Reichelt (5. Dan Jiu Jitsu) Platz genommen. Tisch 3 war besetzt mit Carsten Kruhs (4. Dan Jiu Jitsu), Achim Wiemer (3. Dan Jiu Jitsu) und Sabine Kloß (2. Dan Jiu Jitsu).

Somit hatte es zahlreiche kompetente Prüfer zur Abnahme der Prüfung im Jiu Jitsu nach Mülheim an der Ruhr in das Dojo des Bujindo Mülheim gezogen. Die Mathematik kennt auch Wurzeln bzw. das Wurzelziehen. Schaut man sich das Verhältnis von Prüfern zu Geprüften an, so fällt an diesem Tag die Zahl Neun mehrfach ins Auge: Neun Prüfer, neun Geprüfte; neun volle Prüfungen vom Gelb- zum Schwarzgurt!
Die Wurzel aus der Neun ist die Drei – das Verhältnis von Prüfern zu Geprüften, und zwar ebenfalls in dreifacher Ausführung an drei Matten! Das "Wurzelziehen" im Kontext von Lehrer und Schüler sieht nicht vor, dass Wurzeln "gezogen" werden, sondern dass die Wurzeln des Jiu-Jitsuka durch passende Belastung mit der Zeit so an Festigkeit zunehmen, dass sie auch "Stürme" überstehen können. – Doch zurück zum Prüfungsgeschehen:
Nach der Demonstration von Kata fängt das technische Programm des einzelnen Prüflings erst an, denn es wird ein für den Gürtelgrad gültiger Querschnitt aus dem Technikkanon des DJJB verlangt, der an diesem Tag pro Prüfung durchweg eine Vielzahl von unterschiedlichsten Einzeltechniken vorsah. Nach der Technikdemonstration folgt in der Regel eine kurze Pause. In dieser Pause befindet sich der Prüfling allerdings nicht in einer Ruhephase, in der er sich zurückziehen oder gar "abschalten" kann, sondern vielmehr erhält er Raum für körperliche und geistige Sammlung, was sich auch in der Körperhaltung, an Gestik und Mimik – in ihm selbst – widerspiegelt.
Danach geht es für jeden Prüfling in den "Kreis", und es zeigte sich auch diesmal wieder deutlich, dass die anwesenden Jiu-Jitsuka nicht nur für diesen einen Prüfungstag gelernt und geübt hatten, sondern dass sie auch in der Lage waren, schnell und gekonnt zu improvisieren, denn das Leben besteht ebenfalls zu einem großen Teil aus kluger Improvisation. Schnelle Techniken folgten – Waffentechniken mit Pistole, Messer, Kurz- und Langstock kamen übrigens auch nicht zu kurz.

Beim Do geht es eben um das Streben nach dem Bestmöglichen. Bei den Prüfern galt dies für die Bewertung des Gezeigten und Geleisteten, auf der Matte für die Qualität und Quantität der Prüfungsleistung. Beides gehört wiederum untrennbar zusammen. Was heißt das? – Es bedeutet, dass sich alle Prüflinge inhaltlich mit einem vorgeschriebenen Prüfungsprogramm – an diesem Tag vom 1. Dan Jiu Jitsu bis zum 4. Dan Jiu Jitsu – auseinander setzen mussten, wobei sie ihre Prüfungsleistungen mit sichtbarem Erfolg erbrachten, ihre individuellen "Noten" mit einbrachten (und später mit der Übergabe ihrer Urkunden auch das Ergebnis ihrer Prüfung in Form von Noten erhalten sollten), und das Programm somit auf ihre eigene Art und Weise im Rahmen des Notwendigen unterschiedlich "interpretierten". In der inhaltlichen Homogenität und der unterschiedlichen "Interpretation" – gleicher Angriff: unterschiedliche Abwehrtechnik – liegt die Stärke des dem DJJB eigenen Prüfungssystems, das einerseits auf die unterschiedlichen Voraussetzungen der Prüflinge eingeht, Spielräume lässt, aber andererseits auch die stetige Verbesserung der Qualität des Jiu Jitsu und die Einhaltung von sehr hohen Qualitätsstandards auf allen Ebenen garantiert. Festigkeit und Flexibilität von der Wurzel her! Besonderes Augenmerk wurde in allen Teilbereichen der Prüfungen wie immer auf den Bereich der Waffentechniken gelegt, schließlich geht insbesondere von Messern und Schusswaffen auch in der Abwehr derselben die größte Gefahr für einen selbst und für Unbeteiligte aus.
Die Prüfungsleistung eines jeden Prüflings wurde in einem abschließenden Gespräch durch das jeweils zuständige Prüfungskomitee bewertet und benotet. Zwei Monate vor der Dan-Prüfung gibt der Dan-Träger als Teil der Anforderungen für seinen nächsten Dan-Grad auch seine umfangreiche schriftliche Ausarbeitung ab. In dieser schriftlichen Arbeit wird ein individuelles und passgenau auf den Prüfling zugeschnittenes Thema als Theorieteil bearbeitet, welcher mit in die Gesamtbenotung der Prüfung einfließt. Schlussendlich folgte auf die gesamte Prüfungsleistung ein Feedback von Angesicht zu Angesicht. – Es war trotz der neun Grad Celsius Außentemperatur ein erfreulicher Wintertag; im Dojo herrschte bei mildem Sonnenschein eine feierliche Atmosphäre, und zwar gleichermaßen für Prüflinge, Prüfer und Zuschauer, während sich hinter den Prüfertischen beim Lichteinfall in die Glaswände Scherenschnitten gleich die Natur in Gestalt vom Wind bewegter Bäume ihr freundliches Spiel mit Licht und Schatten trieb.
Die Nationalhymnen Deutschlands und Japans rundeten dieses Bild im Rahmen einer Zeremonie sanft ab, gefolgt von dem anstehenden Beifall anwesender Freunde, Eltern und Zuschauer, die nun endlich nach einer langen Zeit der konzentrierten Begleitung ihrer Begeisterung freien Lauf lassen wollten. Nach getaner Arbeit hinter und vor den Prüfungstischen hieß es schließlich:
Zum 4. Dan Jiu Jitsu haben bestanden: Michele Colonna (ETV 1881 e.V. Abt. Yaware), Denis Heinrich (VFB Erftstadt Zanshin Dojo)
Zum 3. Dan Jiu Jitsu haben bestanden: Sascha Berndsen (Bushido Mülheim), Oleg Tartakowski (Bujindo Mülheim), Christian Weber (Bujindo Mülheim)
Zum 1. Dan Jiu Jitsu haben bestanden: Thorsten Bock (PSV-Krefeld Makoto), Pascal Laqua (Jiu Jitsu Club Ransbach-Baumbach), Christopher Sutter (TV-Hochstetten 1904 e.V. Kishido), Rene Wittinghofer (Bushido Mülheim)
Der DJJB gratuliert allen Prüflingen zur erbrachten Leistung und wünscht für den weiteren Weg alles Gute.
Die Bäume, die sich schmiegen, stehen an ihren Zweigen unversehrt, und die sich sträuben, kommen samt der Wurzel um. (Sophokles)

Text: Volker Schwarz & Andreas Dolny
Bilder: Mathias Duschner, Volker Schwarz